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Kulturelle Vielfalt im Ehrenamt fördern

Kulturelle Vielfalt im Ehrenamt fördern

Integration und Ehrenamt

Kümmerer, Missgeschicke und Sprachbarrieren

 

Ehrenamtler finden für das Thema Integrationsarbeit und Migranten für das Thema Ehrenamt begeistern – zwei Themenfelder, welche für Vereine zukünftig weiter an Bedeutung gewinnen werden. Dafür hatten wir uns als Experten Roy Gündel in den Podcast eingeladen. Als Leiter des Fachbereichs Integration und Sport/soziale Arbeit beim LSB Niedersachsen kennt er die wesentlichen Herausforderungen, vor welchen Vereine stehen. Der Beitrag ist eine Zusammenfassung der wesentlichen Aspekte des Interviews.

Bevor wir jetzt tiefer einsteigen, müssen wir erst einmal ein gemeinsames Verständnis des Integrationsbegriffes haben. Wenn wir in diesem Blogbeitrag über Integration sprechen, meinen wir damit einen „fortwährenden Prozess der Gewährleistung der gleichberechtigte Teilhabe über kulturelle und soziale Unterschiede hinaus“.
Und um diesen Prozess sicherzustellen, braucht es Leute, die sich um Integrationsarbeit in den Vereinen kümmern. Doch was sind die Motive, dass sich Menschen in diesem Bereich engagieren? Hier ist vor allem die hohe Sinnstiftung zu nennen. Durch diese Arbeit können auch Menschen gewonnen werden, welche für den Verein vorher „unerreichbar“ waren. Menschen, welche sich zu Beginn integrativ engagiert haben, haben schnell festgestellt, wie gut Integration durch den Sport möglich ist und sind dann aus diesem Grund zum Sportverein gekommen.

Einstieg in die Vereinsarbeit

Dabei ist der Einstieg relativ unkompliziert. Viele Ämter in Sportvereinen sind auf Dauer angelegt, aber gerade im Bereich Integration bietet sich die Chance, projektbasiert zu arbeiten, also mit einer zeitlichen Begrenzung. Du solltest aber auf eines achten  – wenn du aus einer Initiative heraus ein Integrationsprojekt startest, solltest du den neuen Freiwilligen ein Experimentierfeld anbieten, wo sie neue Gedanken einbringen können und wo es ihnen vor allem erlaubt ist, Fehler zu machen. Zusammengefasst kann man sagen, dass Integration einen recht niederschwelliger Einstieg in euren Verein darstellen kann. Damit sprichst du vor allem junge Leute an, sich gesellschaftlich einzubringen, weil diese agieren eher themengebunden als ämtergebunden.
Wichtig ist einen Schritt nach dem nächsten zu machen – also setze einen kleineren Rahmen bei den Projekten, mache Integration nicht gleich zum Kerngeschäft des Vereins und versuche nicht die ganze Welt zu retten. Ein guter Start wäre beispielsweise erst einmal ein unverbindliches Sportangebot oder Sportkarrusell (wechselnde Sportarten) mit einem Kooperationspartner für Kinder und Jugendliche aufzusetzen. Als Partner sind vor allem Schulprojekte oder Jugendclubs interessant. Bei diesem Sportangebot kann dein Verein austesten, welche Ansprache funktioniert eigentlich am besten? Also was wird gut angenommen, wo ist der Bedarf? Erst im nächsten Schritt solltest du dir die Frage stellen, wie bekomme ich die Eltern an den Verein gebunden und wie bekommen wir diese unverbindlichen Sportangebote, welche offensichtlich nachgefragt werden bei den Migranten, auch in die bestehende Angebotspalette des Vereins integriert. Und wenn der Ansatz nicht funktioniert hat, testest du einfach etwas anderes aus.
Auch wenn wir natürlich sagen, dass du beim Start kein großes Konzept machen sollst, empfehlen wir Dir sich über folgende Punkte einmal Gedanken zu machen:

  • Prüfe dein Umfeld – Was für Menschen leben hier überhaupt? Wer kennt dieses Umfeld sehr gut? Kann ich mich mit dieser Person zusammensetzen und austauschen?
  • Trete in Kontakt – Welche Menschen möchte ich gewinnen? Wie trete ich mit diesen in Kontakt? Wenn ich nicht mit diesen direkt in Kontakt treten kann, gibt es vielleicht einen Mittler?
  • Bedarfsanalyse – Was für einen Bedarf reflektieren mir diese Personen? Wie kann man diesen Bedarf in eine Angebotsform umsetzen?

Der Vorteil an diesem Vorgehen ist die geringere Falltiefe bei einem Misserfolg, als wenn man ein großes Konzept startet. Und unsere Feststellung ist, je mehr man plant und Konzepte ausarbeitet, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit für ein Scheitern. Gerade bei der Integrationsarbeit sind viele Dinge nicht vorhersehbar, die Gefahr dass man sich dann verzettelt bzw. zu viel vornimmt steigt. Das hängt natürlich auch von deinem Erfahrungsgrad in diesem Themenfeld ab, aber wenn du neu bist, gehe kleinere Schritte. Häufig ist es schließlich so, dass die Idee für ein Engagement nicht vom 1. Vorsitzenden oder einem Abteilungsleiter geboren wird, sondern von jemanden, der motiviert ist, sich in diesem Bereich zu engagieren. Da heißt es dann für dich: Rückdeckung beim Vorstand und den anderen Mitgliedern holen, so dass alle bei diesem Prozess mitgenommen werden.
Das schöne bei Integrationsprojekten ist aber vor allem die Möglichkeit, dass fast alle Aufgaben auch von Personen ausgeführt werden können, welche keine 30 Jahre in den Vereinsstrukturen aktiv gewesen sein müssen, sondern quasi Quereinsteiger sind.

Diversität in der Vereinsarbeit

Ein Thema, welches im Podcast ebenfalls zur Sprache kam, beschäftigt sich mit der Darstellung der Diversität der Gesellschaft auch in den Funktionsebenen eines Vereins. Aktuell sind diese aus Sicht des LSB zu wenig divers. Wenn sich hier etwas ändern würde, hätten Vereinen auch einen leichteren Zugang zu Migranten, da es für Funktionsträger leichter wäre, die Perspektive des Gegenübers einzunehmen, sei es aufgrund des Werteverständnisses oder der Sprache. Nur um die Wichtigkeit einmal einzuordnen – in Großstädten haben 60 bis 70% der Jugendlichen einen Migrationshintergrund. Grundsätzlich ist der Sportverein aber gut geeignet um mit dem Thema Integration zu starten. Durch die universellen Regeln des Sports ist die Verständigung trotz Sprachbarrieren einfacher. Natürlich gibt es ggf. Verständigungsprobleme im Funktionsbereich eines Vereines. Aber auch hier muss sich ein Verein erst einmal selber fragen, was ist das eigentliche Problem? Kann ein Ehrenamtler die deutsche Sprache nicht perfekt, gibt es auch immer wieder Fälle, wo ihm dadurch die Kompetenz für Aufgaben abgesprochen wird. Man sollte eher darüber nachdenken, wie man die Person unterstützen kann, diese Sprachbarrieren abzubauen. Hier bieten sich z.B. Sprachpatenschaften an, wo der Verein eine Vermittlungsfunktion zu einer Kommune mit einem entsprechenden Pool an Paten anbieten könnte. Neben der Sprache muss man sich als Migrant auch erst einmal mit dem deutschen Vereinswesen vertraut machen. Wenn sie dies noch nicht kennen, wird dies zu weiteren Unsicherheiten bei Person führen. Am Ende ist es wichtig, dass der ehrenamtliche Migrant das Gefühl hat, dass er eine Basis des Vertrauens spürt und man versucht die Unsicherheiten abzubauen. Dies kann man erreichen, indem man die zwischenmenschlichen Verbindungen innerhalb des Vereins stärkt in Form von gemeinsamen Erlebnissen und Unternehmungen.

Wenn du deinen Verein jetzt so einschätzt, dass eine Integration auch im ehrenamtlichen Bereich gelingen könnte, ist jetzt nur noch die Frage zu klären, wie spricht man interessante bzw. interessierte Personen denn an. Hier nützt es natürlich, wenn ihr bereits eine Person im Verein habt, die das Vertrauen der Menschen genießt. Wenn nicht, solltet ihr einen guten Kontakt zu Schlüsselpersonen pflegen also z.B. zum Leiter des Jugendzentrums oder des Stadteiltreffs. Die Königsklasse ist es, wenn ihr in einer Querschnittsfunktion einen Kümmerer (für Integrationsfragen) im Verein habt. Hier muss man aber ehrlich sagen, dass ein ganz geringer Anteil der Vereine in Deutschland so eine Position hat. Und realistisch gesehen, muss man sagen, dass es keinen Sinn macht, schon bei den ersten Gehversuchen einen Kümmerer in deinen Verein zu installieren. Erst wenn ihr einen dauerhaften Ansprechpartner im Verein haben wollt, der auch immer wieder neue Impulse an verschiedenen Stellen im Verein setzen möchte, macht diese Position Sinn und hilft euch, sich effektiv weiterzuentwickeln. Sicher ist nur, dass ihr ab einer bestimmten Größe, dass Thema irgendwo fest im Verein andocken müsst. Ob das ein Vorstandsposten sein muss, sollte man sich aber gut überlegen, weil dann die Verbindlichkeit und Verantwortung wieder deutlich höher ist. Wenn der Kümmerer auch ohne dieses Vorstandsamt gut an den Vorstand kommunizieren kann, halten wir dies auch für ausreichend.
Solche Experten sei es ein Kümmerer oder eine externe Personen könnt ihr auch dann kontaktieren, wenn etwas im Verein schief läuft. Du musst halt immer daran denken, dass es, sobald ihr mit dem Thema Integration startet, werden immer wieder  unvorhersehbare Situationen auftauchen. Wie schon gesagt, Migranten kennen das System Sportverein mit seinen Regel und bürokratischen Abläufen nicht. So kann es vorkommen, dass Formalien nicht, wie gewohnt, erfüllt werden, Festlegungen in Protokollen ignoriert werden und ein Handschlag mehr zählt als das, was auf einer Sitzung beschlossen wurde.

Niederschwelliger Zugang

Einige Punkte zum Zugang zu ehrenamtlichen Engagement im Bereich Integration sind bereits angeklungen. Dies soll hier aber noch einmal kompakt beschrieben werden. Wenn ihr ein Ehrenamt aufbauen wollt, achtet darauf, dass das Angebot niederschwellig ist. Damit ist gemeint:

  • Erst einmal wenig Verbindlichkeit in das Engagement bringen
  • Verantwortung zu Beginn gering halten
  • Leuten das Gefühl von Rückendeckung geben und einen Ansprechpartner haben, wenn neue Projekte gestartet werden sollen
  • Wer Verantwortung bekommt, muss auch Freiheiten bekommen (z.B. in Bezug auf Ansprache und Organisation)

Diese Punkte gelten natürlich genauso, wenn ihr Migranten von Ehrenamtsarbeit überzeugen wollt. Desweiterem gibt es für sie natürlich noch Vorteile für ihre persönliche Entwicklung, was ihnen auch bei der weiteren Integration in Deutschland hilft. Man beschäftigt sich im Verein mit demokratischen Bereich der Mitbestimmung, lernt viel über Mitgestaltung, Verantwortung, Konfliktmanagement oder dem Umgang mit Misserfolgen. Gerade beim Start der beruflichen Laufbahn können diese Erfahrungen einer echter Benefit sein.

Einen Punkt müssen wir zum Abschluss noch ansprechen. Wenn ihr mit dem Thema Integration startet, setzt frühzeitig Grenzen, was Ehrenamtliche machen sollen und was nicht. Wenn z.B. Geflüchtete dem Ehrenamtler vertrauen, kann es vorkommen, dass sie Details von der Flucht erzählen inkl. Geschichten, wie Menschen vor ihren Augen gestorben sind. Aber auch Anfragen, ob man Personen bei Behördengängen unterstützen kann, sind nicht unnormal. Setzt diese vorher aufgestellten Regeln auf jeden Fall durch, um euren Ehrenamtlichen die Arbeit zu erleichtern. Der LSB Niedersachsen führt dafür sogenannte „Entlastende Gespräche“ durch, wo ein guter Umgang mit solchen Themen gelehrt wird.

Jetzt fragst du dich sicher, gibt es auch noch andere Unterstützungen durch die Landessportbünde? Ja, alle Landessportbünde in Deutschland haben das Angebot „Fit für die Vielfalt“, um interkulturelle Kompetenz zu schulen. Aber sie versuchen darüber hinaus vor allem den Austausch mit anderen Vereinen und Experten zu fördern und haben dafür verschiedene Veranstaltungsformate. Hier könnt ihr Roy Gündel am besten direkt selber ansprechen oder den entsprechenden Ansprechpartner bei euch im LSB. Sonst verweisen wir an dieser Stelle darauf, dass es bald noch einen weiteren Beitrag zum Thema Integration geben wird. Wenn ihr bis dahin Fragen an uns haben solltet, schreibt sie uns an info@vereinsstrategen.de. Damit wollen wir den Beitrag hier mit einem letzten Appell zum Thema Integration im Verein abschließen:

Traut euch, auch wenn man mal ins Fettnäpfchen treten kann, bleibt gelassen und fangt einfach an.

In diesem Sinne
Deine Vereinsstrategen
(Martin Schüttler)

So gelingt Integration im Verein

So gelingt Integration im Verein

Integration

Beispiele, Konfliktlösung und Umsetzung

 

Integration ist eines der meist diskutierten Themen in der Gesellschaft. Die Vereinslandschaft wird dabei als eine der Stützen für eine gelungene Integration gesehen. Das dies aber für viele Ehrenamtler im Verein eine große Herausforderung ist, die auch häufiger scheitert, wird von der Gesellschaft häufig übersehen. Damit du und dein Verein aber zumindest einen ersten Überblick bekommst, was beim Thema Integration alles zu beachten ist, haben wir uns in den Podcast Roy Gündel eingeladen. Er ist Leiter des Fachbereichs Integration und Sport/soziale Arbeit beim LSB Niedersachsen. Der Beitrag ist eine Zusammenfassung der wesentlichen Aspekte des Interviews.

Grundsätzlich hat das Thema Integration spätestens seit der Flüchtlingskrise 2016 stark an Bedeutung gewonnen. Aber bereits in den letzten 10 bis 20 Jahren hat sich durch mehrere Liberalisierungsschübe gesellschaftlich als auch im Sport extrem viel getan. Unterstützt wird diese Entwicklung durch die zunehmende Globalisierung und der damit weltweit zunehmenden Migration.
Wieso Vereine beim Integration eine so große Rolle spielen liegt in einer ihrer originären Grundfunktionen, nämlich starke gesellschaftliche Bindungskraft zu erzeugen, begründet. Diese soll auch bei zunehmender Migration weiterhin bestehen bleiben. Dafür muss man sich aber den veränderten Bedingungen stellen und sich mit diesen beschäftigen. In vielen Vereinen ist das Thema einer diverseren Gesellschaft bereits angekommen. Die erfolgreiche Integration von Migranten gelingt aber besonders gut, wenn man dieses Thema versucht bewusst zu steuern. Hier beginnt dann auch die Unterstützung durch den jeweiligen LSB.

Integration und Sportvereine – Die Datenlage

Bevor wir jetzt aber im Detail darauf eingehen, schauen wir uns erst einmal die Datenlage zum Thema Integration und Sportvereine an. Denn da stellt man recht schnell fest, es ist gar nicht so einfach. Da die Vereine (bewusst) keine Umfragen vom LSB zum Thema „Migrationshintergrund der Mitglieder, etc.“ gestellt bekommen, gibt es keine Datenbasis, womit nähere Untersuchungen möglich sind. Eine aussagekräftige Studie kommt hingegegen vom Bundesamt für Integration. Dieses hat ermittelt, wie die Bevölkerungsstruktur von Sportvereinen im Vergleicht zur Gesamtbevölkerung ist. Dabei kam unter anderem heraus, dass 70% aller Kinder auch Mitglied im Sportverein sind, bei Kindern mit Migrationshintergrund sind es nur 55%. Weitere Ergebnisse waren z.B. je schwieriger die soziale Situation ist, desto geringer ist der Organisationsgrad im Verein – auch dies trifft auf Personen mit Migrationsgrund häufiger zu. Aber auch die Herkunft ist entscheidend. Während man bei Personen aus den ehemaligen europäischen Ostblockstaaten keine nennenswerten Differenzen zu Menschen aus Deutschland findet, sind z.B. Mädchen mit türkischen Wurzeln in Sportvereinen stark unterrepräsentiert (16%). Ziel muss es aus Sicht des LSBs sein diese Unterschiede zu verringern.

Erschwerend bei solchen Umfragen kommt noch hinzu, dass jede Person auch eine unterschiedliche Meinung hat, was Integration eigentlich ist. Es gibt grundsätzlich mehrere Perspektiven und das „eine“ Konzept gibt es nicht. Der LSB sieht unter dem Begriff einen „fortwährenden Aushandlungsprozess mit dem Ziel der gleichberechtigten Teilhabe aller Menschen über soziale und kulturelle Unterschiede hinweg“. Das grundsätzliche Problem hinter dem Begriff ist, dass Menschen die zusammengebracht werden sollen, über diesen Begriff wieder in Schubladen gesteckt werden. Dabei handelt es sich meist immer um Fremdzuschreibungen – andere Menschen schreiben einer Person einen Migrationshintergrund zu, obwohl diese selber das vielleicht gar nicht so empfindet. Ein weiteres Problem ist die Übertonung der Feststellung des Migrationshintergrunds bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Unterschiede in den verschiedenen Gruppen der Personen mit Migrationshintergrund. Deswegen möchte der LSB vor allem am gemeinsamen „Wir“ der Vereinsmitglieder arbeiten. Allerdings stößt auch der LSB dabei an Grenzen. Auch wenn er versucht Pauschalisierungen zu vermeiden, muss er z.B. bei der Verteilung von Fördermitteln durchaus selber wieder auf die Schuladen zurückgreifen, um Gruppen entsprechend zu bestimmen. Roy Gündel ist es aber wichtig zu betonen, dass die meisten Fragen bzw. Probleme nicht kultureller Natur sondern sozialer Natur sind.

Beispiele für erfolgreiche Integrationsprojekte

Als gute Beispiele für gelungene Integrationsarbeit wurden ein paar im Podcast besprochen. Kurzfristige Projekte wurden sicherlich 15/16 im Zuge der Flüchtlingskrise durch diverse Vereine durchgeführt. Die Turnhallen wurden damals als Notunterkünfte umfunktioniert und die Mitglieder aus den Vereinen, die nicht mehr ihrem Sport nachgehen konnten, haben dann niederschwellige Sportangebote für Flüchtlinge ins Leben gerufen. Das hat das Ankommen sicherlich für viele erleichtert.
Um langfristig erfolgreiche Integrationsarbeit im Sportverein zu leisten, sind allerdings einige Dinge zu beachten. Als Ausgangsbasis ist wichtig, dass die Vereine versuchen müssen, dass Menschen aus anderen Ländern auf Augenhöhe mitdiskutieren, entscheiden und ihre Bedürfnisse artikulieren können. Das bedeutet z.B. auch, dass man immigrierten Menschen die Möglichkeit geben sollte, sich ehrenamtlich zu engagieren.
Ein Beispiel hierfür ist das Projekt „Soccer-Referee-Coach“. Ursprung des Projektes war das Problem, dass etwa 50 geflüchtete Personen gleichzeitig auf den Fußballplätzen des Vereins spielen wollten. Das gab natürlich erwartungsgemäß Probleme in der Trainingsleitung. Die Idee war dann, auch aufgrund des personellen Bedarfs und der sprachlichen Barriere, dass Personen aus der Gruppe selbst zu Trainern ausgebildet werden sollten. Jetzt gibt es allerdings das Problem, dass die klassische Lizenzausbildung nur zu absolvieren ist, wenn du man bereits gute Sprachkenntnisse hat. Deswegen war die Lösung eine niederschwellige Qualifizierung zu ermöglichen. Diese liegt zwar inhaltlich unter den offiziellen Lizenzen, aber befähigt die jeweilige Person Gruppen entsprechend zu leiten. Am Ende wurde das Ziel, dass Geflüchtete andere Geflüchtete trainieren erreicht.

Doch es gibt beim Thema Integration auch einige Hindernisse, welche du und dein Verein beachten solltest. Dazu gehört es, dass du dir erst einmal die Frage stellst, welche Konflikte gibt es überhaupt bzw. kann es geben? Ein Punkt an dem man als eine Person, die mit dem deutschen Vereinswesen aufgewachsen ist, vielleicht gar nicht denkt, ist das Vereinswesen selber. Es gibt kaum Länder auf der Welt, welche eine vergleichbare Vereinsstruktur in Aufbau und Organisation besitzen, wie wir in Deutschland. Dies muss man aber wissen, wenn man versucht, Personen aus anderen Ländern für seinen Verein zu gewinnen. Hier muss man die Ansprache entsprechend anpassen, man muss also Wege finden diese Menschen zu erreichen. Dies geht am einfachsten, wenn man sich mit Leuten zusammensetzt, welche Profis im Bereich der Integration sind und von ihren Erfahrungen lernt. Das können z.B. Quartiersmanager, Personen aus dem Jugendzentrum oder aus Schulen sein.
Der LSB unterstützt bei der Ansprache durch Seminare, um die interkulturelle Kompetenz zu erhöhen, oder durch hauptamtliche Unterstützung der ehrenamtlichen Vereine. So kann das das Ehrenamt z.B. von den breiten Netzwerken profitieren und mit den entsprechenden Integrationsprofis aus der entsprechenden Stadt zusammengebracht werden. Diese wissen, wie man die jeweilige Zielgruppe anspricht. Im Anschluss müssen sich die Vereine nur noch entsprechend gegenüber der Zielgruppe präsentieren. Hier gibt es dann ggf. auch Bezuschussungen vom LSB.

Konflikte – meistens liegt es nur am Blickwinkel

Das Thema Integration und die Konflikte, welche dabei auftreten können, sind wahrscheinlich vielen bekannt. Doch häufig muss man sich einmal selbst hinterfragen, ob die Beweggründe, die zu dem Konflikt führen, überhaupt berechtigt sind. Ein gutes Beispiel hierfür ist das „Schwimmen von Frauen in geschützten Räumen“. Vereine, die das umgesetzt haben, berichten immer wieder von Beschwerden. Doch schauen wir uns einmal an, was die Gründe dafür sind, warum Menschen dieses Angebot wahrnehmen:

  • Die Teilnehmerinnen haben ein Schamgefühl, weil sie noch nicht schwimmen können und dieses jetzt lernen wollen.
  • Die Schönheitsideale sind andere, deswegen wollen sie nur unter Frauen schwimmen.
  • Die Teilnehmerinnen haben Angst vor dem Wasser z.B. wenn sie durch eine Flucht über das Mittelmeer traumatisiert sind.
  • Es handelt sich um patriarchische Familienstrukturen mit dem entsprechenden Rollenbild der Frau.

Wenn man ehrlich ist, ist eigentlich nur der letzte Punkt wirklich konfliktreich. Hier könnte man sagen, dass die Vereine Diskriminierung unterstützen. Allerdings muss man auch ehrlich sein – was ist denn die Alternative? Deswegen wäre auch dieser Punkt aus LSB-Sicht keine Desintegration, weil man damit zumindest verhindert, dass Parallelstrukturen geschaffen werden.

Wir hatten zu Beginn des Beitrages bereits geschrieben, dass man alle Menschen die Möglichkeit geben soll, ihre Bedürfnisse und Meinungen auf Augenhöhe zu artikulieren. Nur so kann man Hierarchien abbauen. Wer aber denkt, dass mit diesem Weg keine Konflikte mehr entstehen, der täuscht sich. Denn durch die Möglichkeit der Migranten Bedürfnisse zu artikulieren, werden neue Konflikte entstehen. Das Ziel muss dann sein, solche Konflikte im Verein auch austragen zu können.

Integration umsetzen

Vereine sollten es sich leisten können, Fehler machen zu, frei nach dem Motto: „Praxis ohne Theorie ist immer noch besser als Theorie ohne Praxis.“ Gerade bei der Integrationsarbeit sollte man Dinge einfach ausprobieren. Hierfür kann es durch den LSB auch finanzielle Unterstützung geben, denn grundsätzlich hat der Vereinssport ein hohes Potential für erfolgreiche Integration. Die Migranten, welche in den Verein kommen wollen, vereint mit den bisherigen Mitgliedern ein gemeinsames Interesse zur Sportart. Zum anderen sind bei vielen Sportarten die Regeln universell, Sprachbarrieren können so überwunden werden. Das sind auf jeden Fall gute Voraussetzungen.
Allerdings muss auch den Vereinen die Grenzen bewusst sein – jeder kann seinen Beitrag leisten, aber am Ende sind nicht die Vereine dafür verantwortlich die gesellschaftlichen Missstände zu lösen. Der Fokus muss auf Mitgliederentwicklung, ehrenamtliches Engagement und Positionierung gelegt werden.

Wenn dein Verein plant das Thema Integration mehr bei sich in den Fokus zu nehmen oder damit erstmalig beginnen will, möchten wir Dir diese sechs Tipps mit an die Hand geben:

  1. Einfach anfangen, aber nicht gleich die ganze Welt retten wollen. Der Weg entsteht oft beim Gehen.
  2. Klärt das Selbstverständnis im Verein – Warum wollen wir uns dem Thema widmen? Was ist unsere Motivation? Was sind unsere Ziele? Was ist unser Rahmen?
  3. Hinterfrage die eigenen Strukturen – Gibt es bei uns im Verein unsichtbare Hemmschwellen, Angebote oder Strukturen, die Menschen ausschließen? Es kann also z.B. sein, dass die Angebotspalette einfach nicht ausreichend ist für Migranten (z.B. in Deutschland eher unpopulärere Sportarten wie Ringen oder Cricket sind in anderen Ländern sehr beliebt).
  4. Wir sollten Kompetenzen bündeln und erweitern. Das bedeutet, arbeite mit Profis zusammen, um deine Ansprachewege zu überprüfen und zu verbessern. Es gibt immer Menschen, die sich ehrenamtlich und hauptamtlich mit Integrationsarbeit beschäftigen. So eignet man sich langfristig (neben Fortbildungen) Know-How an.
  5. Versuche immer die Kommunikation auf Augenhöhe zu führen. Ein häufiger Fehler ist, dass man denkt, man weiß was andere Menschen brauchen. Mit diesem Ansatz scheitern aber häufig gut gemeinte Projekte. Deswegen immer mit den Menschen die reale Bedarfslage abklären.
  6. Gelassen bleiben! Das Thema Integration wird häufig emotional geführt, mit eigener Meinung aber auch eigener politischer Haltung. Das gehört zu einer diversen Gesellschaft dazu. Aber auch wenn es Dissens gibt, sollte man einfach gelassen bleiben.

Fördermittel im Bereich Integration

Die Fördermittel unterscheiden sich zwischen den einzelnen Landessportbünden nur geringfügig. Wir zeigen euch hier die Möglichkeiten beim LSB Niedersachsen auf. Grundsätzlich hängt die entsprechende Förderung stark von der Idee des Vereins ab und der LSB reagiert darauf mit einer möglichst breiten Palette. Etwas klassisches ist die Initiierung eines neuen Sportangebotes bzw. einer neuen Sportart Im Verein. Dies kann aber auch als Schul-AG oder in Zusammenarbeit mit einem Jugendclub erfolgen. Hier kannst du einfach einen Antrag für eine pauschale Starthilfe stellen. Diese 1.000 Euro für die ersten 12 Monate gibt es recht unbürokratisch.
Genauso fördert der LSB aber auch Veranstaltungen in diesem Bereich oder wie oben schon beschrieben auch die Kompetenzförderung von Geflüchteten, welche z.B. Übungsleiter werden wollen. Anteilsfinanzierungen kann es darüber hinaus auch bei umfangreicheren Projekten geben. Grundsätzlich empfiehlt der LSB, dass man, bevor man etwas startet, gemeinsam draufschauen sollte, zum einem um die ideale Förderung zu finden, zum anderen um auch die Netzwerke zur Verfügung stellen zu können. Und keine Sorge nicht jeder Verein muss Integration zu seiner neuen Kernkompetenz ernennen. Hier gibt es bisher auch nur eine überschaubare Anzahl in Niedersachsen, welche als Stützpunktvereine im Programm „Integration durch Sport“ aufgehangen sind.

Bei weiteren Fragen zum Thema Integration wendest du dich am besten an den Ansprechpartner beim jeweiligen LSB. Dieser kann dich auch gerne an weitere Experten vermitteln. Wenn du uns gerne von deinen Erfahrungen beim Thema Integration oder von eurem Vereinsprojekt erzählen möchtest, sende uns gerne eine E-Mail an info@vereinsstrategen.de. Es wird zu dem Thema noch zwei weitere Folgen bzw. Beiträge geben. Wir hoffen du konntest aus diesem Beitrag viel mitnehmen und würden uns freuen, wenn du unseren Podcast abonnierst

Deine Vereinsstrategen
(Martin Schüttler)

 

Digitale Bildungsangebote im Sport

Digitale Bildungsangebote im Sport

Weiterbildung

Übungsleiterlizenz jetzt auch digital?

 

Wir haben uns für das Thema Bildungsangebote für Ehrenamtliche erstmalig externe Unterstützung in den Podcast geholt. Mit Marco Lutz konnten wir einen echten Experten gewinnen. Er ist nicht nur Leiter des Bereiches Bildung beim LSB Niedersachsen, sondern auch Speaker im Bereich New Work und seit Jahren im Ehrenamt engagiert. Vereinsstratege Pascal Grüne führte das Interview, welches einen Schwerpunkt auf die Aspekte und Chancen im Bereich der digitaler Bildungsformate hat. Es handelt sich beim Beitrag um eine geringfügig veränderte Variante des Podcast-Interviews, ist aber genauso informativ. Erfahren jetzt schon, wie die Bildungszukunft im Breitensport aussehen wird.

 

Pascal:
Hallo Lutz, schön dass du dich zu einem Interview im Vereinsstrategen-Podcast zur Verfügung gestellt hast. Ich möchte heute in unserem Interview einmal das Thema Digitales und Bildung näher beleuchten. Dich hat es nämlich in das Themenfeld Bildung beim LSB Niedersachsen verschlagen, und muss dich aktuell zwangsläufig mit digitalen Themen beschäftigen. Erzähl uns doch mal, wie lernt eigentlich so ein Mensch? Wie funktioniert das – wie lernen wir?

Marco Lutz:
Also das schöne ist, prinzipiell funktioniert das Gehirn immer gleich. Dies stellt auch die Basis dar und spielt auch für das Thema Neurowissenschaften eine ganz entscheidende Rolle. Grundsätzlich reden wir über die Grundfunktion, beachten aber natürlich auch, dass jeder Mensch individuell ist. Daraus lassen sich Rückschlusse für das Lernen ziehen. Dabei ist es ganz wichtig, dass man Bildung so begreift, dass es ein „Selbstprozess“ ist, also man selbst sich Dinge erschließt, erarbeitet, verarbeitet. Es funktioniert weniger so, dass man von außen belehrt wird also. Vielleicht kennst du das Bild, des Nürnberger Trichters, also man bekommt einen Trichter in den Kopf gesetzt und dann werden die Inhalte da eingeschleust mit dem Ergebnis, dass man etwas gelernt hat. Aber dieses Bild ist falsch. Es handelt sich stattdessen um einen Aneignungsprozess und der ist sehr individuell, wo unterschiedliche Menschen unterschiedliche Anreize brauchen. Die einen Lernen schneller, die anderen langsamer, die einen Lernen Audio-Visuell, die anderen lernen durch Sprache. Deswegen muss es sehr differenzierte Möglichkeiten für das Lernen geben, damit der Einzelne für sich auch gut lernen kann. Von daher differenziert, selbst organisiert und sehr viel mit Blick auf die Neurowissenschaft. Leider wird das aber noch sehr oft ignoriert.

Pascal:
Auf jeden Fall ein spannendes Thema! Ihr bespielt ja mit dem LSB Niedersachsen mehrere Kanäle, was jetzt die Bildungsarbeit angeht. Wie lautet deine Einschätzung, wie steht ihr im Vergleich zu anderen Verbänden im Bereich Digitalisierung dar?

Marco Lutz:
Ein Vergleich ist immer schwierig. Ich würde sagen, dass wir schaffen bundesweit eines ganz gut, uns auch viel besser mit Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Bundesländern zu vernetzen und gemeinschaftlich voranzugehen. Ich würde sagen, wir sind da ganz gut dabei, im guten Austausch und befinden uns in der Sprintgruppe.

Pascal:
Du sagst der Vergleich ist ein bisschen schwierig, dann schauen wir doch jetzt nur mal auf euch als Organisation. Was läuft bei euch gut und woran arbeitet ihr noch?

Marco Lutz:
Also man muss sagen, dass Corona ein Entwicklungstreiber von vielen Themen war. Wir hatten aber schon 2019 eigentlich ganz viele Grundlagen gelegt. Wenn du digitales Lernen vorantreiben möchtest, brauchst du natürlich eine digitale Infrastruktur, das heißt eine Lernplattform, du brauchst andere didaktische Konzepte. Aber du brauchst auch qualifizierte Referenten, die mit anderen Tools und Werkzeugen ausgestattet sind. Da hatten wir schon die Grundlagen gelegt und natürlich innerhalb der des ersten Lockdowns ging es bei uns ging es rasend schnell. Da haben wir ganz schnell umgeswitcht und digitale Angebote entwickelt, also Online-Seminaren von 90 Minuten bis zu 2 Stunden. Große Teile der Übungsleiterausbildung haben wir dann im Blended-Learning-Format durchgeführt oder eben teilweise auch als Online-Format gemacht, weil die Praxisphase dann nachgelagert angeboten wurden. Zusammenfassend gesagt, wir haben schon viel auf den Weg gebracht und ich würde sagen, wir haben nicht weniger Menschen erreicht als sonst. Vielleicht sogar ein paar Menschen mehr und ein paar, die wir vorher eigentlich noch nie erreicht hatten.

Pascal:
Das heißt, der Corona-Lockdown war für euch so ein kleiner Boost euch noch einmal mehr mit digitalen Themen zu beschäftigen, weil einfach die Präsenzveranstaltungen ausgefallen sind?

Marco Lutz:
Genau, das hat auf jeden Fall das Thema fokussiert. Man musste schneller noch die Entwicklung vorantreiben und man hat ja auch gesehen, dass viele durch das Home Office, wodurch die Möglichkeit der Präsenz ausgeschlossen war, auch in ihren digitalen Kompetenzen gewachsen sind. Dadurch konnte man auch viel besser einsteigen und schneller in solche Bildungsprozesse kommen, wobei, und das muss ich gleich mal vorweg sagen, man auch schauen muss, dass man nicht die vergisst, die vielleicht noch nicht so digital affin sind oder da noch Entwicklungspotenzial haben. Man braucht dafür auch differenzierte Angebote, um eben die Menschen mitzunehmen, die bisher noch keinen guten Einstieg gefunden haben.

Pascal:
Da frag ich direkt einmal nach. Wie macht ihr das? Wie nehmt ihr diese Zielgruppe mit oder was plant ihr in Zukunft?

Marco Lutz:
Das eine war in dieser Lockdown-Phase, dass wir versucht haben möglichst vor allem Online-Angebote – sozusagen Sprechstunden – anzubieten. Dort haben wir versucht, individuell technischen Support zu bieten, Einstellungen am Rechner mit der Software zu unterstützen, damit quasi der Einstieg in so ein Format gelingt. Du kannst dir vorstellen, dass der Spaß am Lernen verloren geht, wenn du nicht handlungsfähig bist und deswegen war das ein ganz großer Schritt. Im Verlauf der Onlineseminare haben wir gemerkt, dass wir am Anfang natürlich öfter noch Menschen hatten, die einfach technisch rausgefallen sind, aber gegen Ende hatten wir fast eigentlich kaum Drop-Out. Also da ist schon viel passiert. Mein ältester Teilnehmer war 84, der ist ein Zoom-Profi, weil er 2 Enkel hat mit denen er sich nur per Video verbinden konnte, weil es nicht anders ging wegen den Einschränkungen. Das hat ihn quasi animiert, sich mit der Technik auseinanderzusetzen. Es gab also einen Lernanreiz, wenn man mal in der Bildungssprache bleibt.

Pascal:
Das widerlegt auch so ein bisschen das Klischee, dass die Alten per se ausgeschlossen werden bei digitalen Angeboten.

Marco Lutz:
Man muss sich da mit innovativen Konzepten drum kümmern und das wird auch ein Schritt sein, den wir fürs nächste Jahr machen müssen. Wie kreieren wir eigentlich Konzepte hin, dass wir digitale Kompetenzen niedrigschwellig fördern, um eben partizipieren zu können. Hier noch einmal zurück zu deiner Eingangsfrage von vorhin- das schöne ist, das Gehirn ist nie fertig, also man lernt nie aus, also das ist bi zum Ende des Lebens eigentlich umbaufähig, also veränderbar, anpassbar und kann lernen. Das hat man auch in der Wissenschaft herausgefunden, dass das Gehirn zeitlebens veränderbar, anpassbar, erweiterbar ist und deswegen kann man eigentlich von 0 bis zum Ende des Lebens lernen.

Pascal:
Wie lernst du denn am besten, also wie funktioniert es bei dir?

Marco Lutz:
Also das ist spannend. Die meisten wissen gar nicht, was sie für ein Lerntyp eigentlich sind. Also wie kann ich am besten, welche Strategien sind für mich geeignet? Für mich selber kann ich es so beantworten. Wir sitzen gerade bei einem Podcast. Ich lerne selber ganz viel durch Podcast und finde sie ein tolles Bildungsformat. Ich höre z.B. auf dem Fahrrad Podcasts oder auch mal abends auf der Couch. Grundsätzlich ich kann am besten Lernen, wenn ich es mir selbst aneigne, also wenn ich irgendwie aktiv dabei bin, das selbst verarbeiten muss, was produzieren kann, mich mit dem Thema auseinandersetzen muss. Es hilft, wenn man Ende ein Ergebnis zeigen kann, so kann ich eigentlich ganz gut lernen. >Klassisches Abschreiben zum Lernen hilft bei mir nicht wirklich.

Pascal:
Da muss ich sagen, das geht mir da tatsächlich ganz ähnlich. Ich habe auch für mich herausgefunden, dass ich sehr gut Informationen über Audio und Video aufnehmen kann und Bücher zum Beispiel etwas in den Hintergrund gerutscht sind. Das Audiodidaktische Lernen funktioniert bei mir ganz gut, sowohl über den visuellen als auch den audio Reiz.

Marco Lutz:
Aber ich muss natürlich auch sagen, ich habe eine ganze Reihe von Büchern und ich bin tatsächlich auch gerne ein Leser. Ich brauche auch das haptische Erlebnis mit Textmarker, also ich lerne nicht so gut an Online-PDFs, aber ich lerne gut mit Büchern und auf der anderen Seite nehmen auch Videos zu. also ich. Nebenbei läuft immer mal ein Tutorial, wo dir eine Person etwas erklärt. Damit ist die Zugänglichkeit zu Wissen größer und einfacher geworden, wo man einfach zurückspulen kann. Solche Tutorials sind ja auch etwas Neues, was erst in den letzten Jahren so entstanden ist.

Pascal:
Stimme ich dir auf jeden Fall zu. Da ergeben sich natürlich auch für euch dann wieder neue Möglichkeiten. Ihr produziert ja fleißig auch solche Tutorials und kurze Erklärvideos. Was versprecht ihr euch davon?

Marco Lutz:
Unser großes Konzept ist der LSB-Online-Campus. Unter dem Begriff Campus muss man sich einen ein Ort vorstellen mit verschiedenen Gebäuden, wie man das aus der Universität kennt oder auch vom Marktplatz in der Stadt, wo man in verschiedene Gebäude kann und da spielen unterschiedliche Dinge eine Rolle. Das eine ist die Lernplattform, wo ich für eine Zeit in einem Kurs mit anderen zusammen lernen kann, das zweite ist eine Art Community, ein lebenslange Begleitung der Lernenden in einer Community, wo ich eben mich mit anderen austauschen kann und wo ich immer wieder Informationen bekomme. Das Dritte sind, Podcast, welche zukünftig kommen werden, und wir haben in dieser Community auch immer die Möglichkeit, dass wir bisherige Lerninhalte, also Lernvideos oder Mitschnitte zur Verfügung stellen können. Dann kann man es on demand konsumieren, wenn man es vielleicht gerade braucht. Z.B. ich möchte etwas zur digitalen Mitgliederversammlung erfahren, dann kannst du das Tutorial und oder das Lernvideo anschauen. Im Anschluss kannst du dann ggf. noch mit einem Experten bzgl. der Umsetzung direkt in Dialog gehen.

Pascal:
Damit zielst du ja auch ein bisschen darauf ab, dass ihr euch langfristig in dem Bereich wieder aufstellen wollt. Das heißt, im Moment rettet euch diese Digitalisierungsstrategie so ein bisschen in der Coronazeit darüber hinaus, dass ihr gar nichts anbieten könntet. Langfristig wollt ihr aber eben auch Formate schaffen, die dann rein online basiert sind oder zum Großteil online sind?

Marco Lutz:
Jein, das Thema digitale Bildung wird uns zukünftig auf jeden Fall weiter begleiten und wird ein wichtiger Faktor sein, weil es auch ganz viele positive Effekte hat auf den Lernenden. Wenn wir von Differenzierung sprechen, von Individualisierung und von Selbstaneignung, dann sind da digitale Formate Präsenzformaten teilweise überlegen, aber die völlige Entfaltung der Möglichkeiten gibt es eigentlich nur bei einer guten Mischung. Diese besteht aus meiner Sicht aus Präsenz und Online lernen. Wir nennen das Blended Learning und da muss man eben dann genau schauen, welche Phasen packe ich in Online Angebote und wann und wie gehe eigentlich dieser wertvollen Zeit um, die Menschen sich ins Auto setzen, um an einen Ort fahren, um sich dort versammeln. Was genau passiert da eigentlich? Da werden wir neue Konzepte finden müssen, wo wir das Lernen auf ein neues Level schieben. Im Bereich der Trainer/Übungsleiter müssen wir uns das genau anschauen. Das sind ja in der Praxis tätige Menschen und die müssen für die Praxis auch ausgebildet werden. Von daher muss es eben eine gelungene Mischung sein und die Formate müssen genau darauf ausrichtet sein, welchen Anforderungssituation die eigentlich in ihrer Tätigkeit gegenüberstehen. Also ich arbeite mit Kindern auf dem Sportplatz, in der Sporthalle, in der Gymnastikhalle und dementsprechend müssen auch die Bildungsformate darauf genau zugeschnitten sein.

Pascal:
Ich würde sagen: Butter bei die Fische Film. Was ist denn der Nutzen für die Vereinsvertreter, Jetzt gezielt für Niedersachsen, wenn sie am Blended Learning teilnehmen können?

Marco Lutz:
Ich glaube, in der Zukunft werden wir genau entscheiden müssen, was findet online statt, was findet in dieser Mischung statt und was findet in Präsenz statt. Das ist die erste Entscheidung. Das zweite ist das Zeitaufwandsthema. Da kann ich auch mal ein praktisches Beispiele bringen. Wir hatten zu Beginn der Corona-Phase, dass Übungsleiter-Förderverfahren umgestellt. Das sind dieses Jahr über 6 Millionen Euro gewesen und dazu haben wir ein Online-Portal auf den Weg gebracht und haben Vereinsführungskräfte geschult. Das haben wir in Online-Formaten von ungefähr einer Stunde gemacht mit teilweise über 120 Leuten. Ich habe sie dann nach ihrem Feedback gefragt und sie haben mir zurückgespiegelt, dass solche Fortbildungen bitte weiter so gemacht werden sollten. Für so ein Thema setze ich mich nicht mehr ins Auto eine Stunde ins Auto. also. Das schafft Zeit, Zeit für Begegnung und ich muss mir nicht mehr die Frage stellen, schaffe ich das nach dem Arbeit noch oder wie sieht es mit der Familie aus? Also es wird auch Freiräume geben oder Möglichkeitsräume erschaffen, dass einige Menschen in Dialog kommen und an einer Maßnahme teilnehmen, die es vorher nicht konnten.

Pascal:
Das glaub ich nämlich auch. Ich glaube, dass ihr gut profitieren könntet davon, wenn ihr dezentrale Sachen anbietet bzw. flexiblere Sachen. Dann stellt sich für mich aber die Frage passen denn die Angebote, die jetzt für Präsenz entwickelt wurden, überhaupt in den digitalen Raum oder müsst ihr auch nochmal ran?

Marco Lutz:
Also letztendlich muss man sich jedes Konzept nochmal anschauen, es überprüfen und sagen ist das denn passend. Also ein Präsenzformat kann man nicht einfach in den digitalen Raum verlagern. Das wird am Ende nicht gut sein und es wird auch keinen Spaß machen. Man braucht dafür ein eigenes didaktisches Konzept. Das Gleiche ist für die Präsenz. Wir haben am Anfang sicherlich mal Schnellformate gemacht, haben viel gelernt, also auch gelernt aus dem Scheitern und haben viel Erfahrungswissen aufgebaut. Jetzt schauen wir uns sukzessive die Formate an und wenn wir neue Formate entwickeln, entwickeln wir jetzt schon auf einem anderen Kompetenzlevel. Von daher war es auch ganz gut, in dieser Phase viel lernen und experimentieren zu können und auch das entsprechende Feedback zu bekommen. Was funktioniert gut, was ist verbesserungswürdig.

Pascal:
Bist du denn der Meinung, dass bei diesem Lernprozess die Verbände auch noch näher zusammenrücken und mehr kooperieren müssten oder ist das deiner Meinung nach schon ganz gut, wie es momentan läuft?

Marco Lutz:
Ich hab so ein Dreier-Hashtag #zusammenbessermehr und das ist auch so ein bisschen die überlagernde Agenda. Wir haben jetzt in 2020 also tatsächlich neben der Corona Bewältigung, unsere Basisausbildung, die Übungsleiter C-Ausbildung (DOSB-Lizenz) umgearbeitet, um dieses Jahr ein Modell-Jahr zu machen. Das haben wir ganz intensiv gemacht mit vielen Verbänden, um eben auch gegenseitige Anerkennung zu ermöglichen, gegenseitige Ressourcen zu nutzen und um breiter auszubilden. Zum anderen war das Ziel Synergieeffekte zu nutzen bei der Entwicklung von Formaten vor allem von digitalen Formaten und bei der Qualifizierung von Referenten. Und da sind wir auf einem ganz guten Weg. Es zeigt, dass wir Hand in Hand arbeiten und die Ressourcen sinnvoll einsetzen, um Menschen zu qualifizieren.

Pascal:
Das heißt dann, 2021 ist das erste Jahr, wo ich eine Übungsleiter C Lizenz verbandsübergreifend machen kann, oder wie darf ich das jetzt interpretieren?

Marco Lutz:
Wir haben jetzt schon Verbände, die aufgrund ihrer Größe große Teile über das LSB-System bisher machen und dann den Spezialisierungsteil in ihrer Fachsportart selbst machen. Einige größere Verbände machen das komplett selbst. Da gibt es eben unterschiedliche Varianten. Die eine ist, dass man uns darauf einigt, dass es eine Basisqualifizierung gibt. Das sind 30 Lerneinheiten, die gegenseitig anerkannt werden. Die zweite Variante wäre, dass es fast egal ist, wo ich die mache, ob beim Turnen, beim Tischtennis, beim Basketball oder beim LSB. Ich kann damit quasi in die Fachausbildung einsteigen beziehungsweise, wenn ich einmal diese Basisqualifizierung gemacht habe, kann ich auch jegliche andere Lizenz oben draufsetzen. Da sind wir aktuell in einem Prozess mit ca. 15 Verbänden und auf einem guten Weg. Also wir werden da eng zusammenarbeiten und auch auf einem Online-Campus zusammenarbeiten und mit den anderen sind wir da im Dialog und ich glaube gute Beispiele machen Schule.

Pascal:
Ich denke, da habt ihr auf jeden Fall einen guten Ansatzpunkt erwischt, gerade auch die Anerkennung von Lizenzen untereinander ist ja immer wieder ein Thema gewesen, was ich so mitbekommen habe. Von daher finde ich es gut, dass ihr das macht. Mich würde noch mal interessieren, wenn wir Corona hinter uns gelassen haben, wie würdest du langfristig die Verteilung von digitalen Seminaren und Präsenzveranstaltungen sehen? Also wie ist die Gewichtung dann? Was wäre deine Prognose?

Marco Lutz:
Das ist eine wirklich schwere Frage. Also ich kann auf jeden Fall beantworten, dass es beides geben wird weiterhin und das sicherlich Online-Formate zunehmen werden, aber ich glaube, wenn man ich mich mal hinreisen lasse, wird das so 2/3 zu 1/3 sein – 2/3 Präsenz und 1/3 Online. Wir müssen halt auch sehen, Menschen sind soziale Wesen. Wir brauchen auch diesen Gruppen-Kontakt und du hast ja auch schon viele Fortbildungen besucht, die wichtigen Phasen passieren eigentlich außerhalb des Seminars, in der Kaffeepause oder Abends im geselligen Miteinander. Da muss man ganz ehrlich, sagen da hat der digitale Raum auch tatsächlich Nachteile. Von daher vielleicht ist es 1/3 zu 2/3. Vielleicht müssen wir nochmal in 5 Jahren reden, aber so kann ich mir das gut vorstellen.

Pascal:
Ich bohre da noch ein bisschen nach. Du hast jetzt schwer getan, mit dem die Zukunft schauen, aber ich will noch etwas weiter gehen. Du hast 5 Jahre gesagt, ich würde gerne ca. 10 Jahre weitergehen? Also wie sieht die Bildungslandschaft Niedersachsen 2030 aus?

Marco Lutz:
Die ist heute schon da. Ich glaube, dass diese Idee dieses Campus, dieses sich an einem Ort bewegen, von dort aus die Räume betreten, die ich brauche, das wird das Zukunftsmodell sein und das gilt es eben auszubauen. Es wird Formen des vernetzten und kooperatives miteinander arbeiten und austauschen geben, also in solchen Communities. Das wird uns nachhaltig stärken. Es wird aber weiterhin viele dezentrale Angebote in Praxis geben, aber es wird vorher immer genau überprüft, macht es Sinn, dass es ausschließlich in der Praxis, dass es ausschließlich Online oder es in gemischten Formaten zu machen. Da werden wir einfach gut werden, in der Abwägung und Entscheidung, was ist das passende Format oder wann sind es Hybridformate. Darüber hinaus beschäftigen wir uns mit Hybridformaten, wo man sagt, es wird Menschen geben, die in Präsenz vor Ort sind, und es wird Menschen geben, die sind digital zugeschalten. Man schließt damit keinen aus, aber man kommt auch den individuellen Bedürfnissen nach . So ein bisschen.

Pascal:
Damit hast du auch ein ganz gutes Schlusswort schon gesetzt. Es ist wichtig, dass die Leute oder die die Vereinsvertreter mitgenommen werden, dass sie gleichzeitig aber auch flexibel auf ihre Bedürfnisse angepasstm das machen können, was sie brauchen. Also wir haben ja auch schon gesagt, es gibt Leute, die lernen vor Ort gut, hören sich das an, manche lernen besser vielleicht, wenn sie Online, etwas machen können. Und da glaube ich, seid ihr auf dem guten Weg. Ich bin sehr gespannt, wie es bei euch weitergeht. Und 2030? Ich mache mit dir nochmal neuen Termin aus und dann sprechen wir noch mal drüber, wie es wirklich gelaufen ist. Ich danke Dir ganz herzlich für das Interview Marco.

 

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Deine Vereinsstrategen
(Martin Schüttler)